der Text da unten ist von Tigaday am  15.12.2000 - 16.16 Uhr ins Parsimony-Forum Krisengebiet der Literatur gesetzt worden - der Schluss ist ein bisschen schwach - aber ansonsten: Rettenswert!

Deswegen:  Baby. ASPIRIN! (Geschrieben von tigaday am 15. Dezember 2000 16:16:49:)

 
Der Milchkaffe war ein bißchen nuttig-süß geraten und das Brötchen hatte definitiv zu viel Remoulade inhaliert. Aber sonst stimmt so ziemlich alles an diesem Sommermorgen. Jetzt stimmte alles wieder. Vor zwei Stunden stimmte noch gar nichts. Chrisberg hasste es, neben Frauen aufzuwachen, die kein Aspirin im Haus haben. Und wenn er von Aspirin sprach, meinte er auch Aspirin. Also, ihr Lieben Mäuse, die Rede ist hier von Aspirin, nicht von Tomapirin oder ASS-Ruck-zuck oder Fritz oder Franz oder sonst was. Aspirin! Ist das denn so verdammt schwer zu merken? Wieder zuhause, frisch geduscht, rasiert, nackt und mit zwei absolut Original Qualitäts-Azetylsaleszilsäuretabletten im Magen schlenderte er durch seine viel zu grosse und viel zu leere Wohnung. Chrisberg gähnte, kratzte sich an den Eiern, schob in Augenhöhe mit zwei Fingern vier Lamellen der Jalousie hoch und schaute nach draussen. Nichts passierte. Er schaute nach rechts, er schaute nach links und er schaute nach unten. Es passierte immer noch nichts. Mit einem metallischen Schnacken zuckten die Lamellen zurück und eine Millisekunde später klingelte das Telefon. „Arschloch“? bohrte die Muschel fragend in sein Ohr. „Pimmel“? erwiderte Chrisberg ohne besondere Betonung. Er mochte Rituale. Und das Arschloch-Pimmel Ritual mochte er ganz besonders. „Warum gibt es so viel Leid auf unserer Erde, warum wollen Frauen immer reden, warum haben Ausserirdische nie einen Seitenscheitel und warum gehen wir nicht einfach frühstücken“? „Warum gehst Du mir um diese Uhrzeit auf die Nerven“?, war Chrisbergs, alias Arschlochs Gegenfrage. „Weil ich dich sehen muss, ganz einfach. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen, die so unglaublich ist, wie nichts, was du bisher in deinem kümmerlichen Leben gehört hast.“ „Grosse Worte“, erwiderte Chrisberg, nannte einen Ort gleich um die Ecke, schlug eine Zeit vor, die zwischen Jetzt und Nachher lag und lies den Hörer auf die Gabel gleiten. Chrisberg kannte Schreiber alias Pimmel schon seit Jahren. Damals war es Winter. Chrisbergs Volvo schnurrte an einer unverschämt roten Ampel das Lied des Schwedenzylinders und das ausgeklügelte Audiosystem in seinem Wagen schmalzte Vic Damons „I will leave you softly“ aus den noch viel ausgeklügelteren Lautsprecherboxen. Ein Typ um die dreissig hüpfte auf dem Bürgersteig herum und machte Bewegungen, die dämlich aussahen. Erst jetzt erkannte Chrisberg, dass sich der Unbekannte bemühte, aus dem dritten Stock gefeuerte Klamotten aufzufangen. Die Bandbreite der Wurfgeschosse war beachtlich. Socken, Saccos, Schuhe, eine Menge CD‘s und – Chrisberg zuckte zusammen – ein wunderschönes G3 Powerbook von Apple. Dass es definitiv ein G3 war, erkannte Chrisberg, als es 10 Zentimeter vor seiner Windschutzscheibe auf die Kühlerhaube des Volvos krachte und sich in seine Bestandteile auflöste. Chrisberg atmete tief durch, schaute zur Seite und sah, dass der Typ auf dem Boden sass und anfing, mit einer Seelenruhe seine CD‘s sortierte. Nach einer Weile hob er den Kopf, fuchtelte mit den Armen und brüllte in Richtung Fenster: „Wo bleibt meine gottverdammte Everlast-CD“? Chrisberg grinste und ihm gefiel, was er sah. Er fuhr an die Seite und stieg aus. Der Rest ist History. Der Rest wurde Freundschaft. Der Rest war jeder neue Tag in dieser beschissenen Stadt, die sich bemühte eine Weltstadt zu sein, oder wenigstens so zu atmen. Kollers Kahn war eine Institution in der Stadt der Reichen und Schönen. Die Tische bespannt mit alten Teppichen erinnerte es einen sofort an einen Holländischen Coffe-Shop. Schreiber war es seit dem Abend der Milben-Spezial Sendung im Fernsehn unmöglich dort zu essen. Alleine der Gedanke an all die steppenden Flöhe und anderen Viecher, die dort bestimmt schon länger zwischen den Fransen wohnten als er in der Stadt, verursachten eine leichte Übelkeit bei ihm. Kollers Kahn, natürlich, grummelte Schreiber in seinen Dreitagebart, für dessen Entstehung er sich zu seiner Verärgerung fünf Tage nicht rasieren durfte. Die Bartproblematik bei Schreiber war etwas, was ihn wie nichts in der Welt auf die Palme brachte. Denn die Tage sechs und sieben waren fürchterlich. Die Natur schlug ihm mit gemeiner Regelmässigkeit ein Schnippchen, indem er ab Tag sieben schlagartig aussah wie ein Penner. Eigentlich fand Schreiber, dass er nur an sechs Abenden im Monat richtig groovy aussah. Meinte er. Böse Zungen behaupteten hingegen, er sähe grundsätzlich aus wie ein Penner.
Die Laune der Bedienung liess darauf schliessen, das sie eine verdammt schlechte Nacht hinter- oder einen beschissenen Tag vor sich hatte. Figurtechnisch ein Knaller, war ein angezicktes „watt willze?“ so ziemlich das einzige, was sie beim zweiten Face-Scann über ihre leider viel zu schmalen Lippen brachte. „Wasser“, lautete die rudimentäre aber doch sehr präzise Antwort Schreibers. Dachte er. „Mit, Ohne, Stilles, Lautes, Grün, Blau?“ leierte die schmallippige Schönheit herunter. Schreiber verdrehte die Augen und stellte sich vor, ihr einfach in die Titten zu kneifen. „Mit.“ Im selben Moment sah Schreiber im Augenwinkel Chrisberg die steile Treppe herunterstolpern. Nur mit Jeans, T-Shirt und Boots bekleidet betrat er die Teppich-Location und setzte sich neben Schreiber. „Weisst du, warum Frauen drei Tage im Monat bluten?“ fragte Schreiber Chrisberg leise. „Erzähls mir“, sagte Chrisberg. „Weil sie es verdient haben“, erwiderte Schreiber.

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