alte maenner von gegenueber – 12.01.01

seit november wohne ich ja jetzt in der neuen wohnung. mein zimmerfenster geht zum hinterhof – so richtig klassisch: jede menge giebel und fenster von anderen leuten. hinter den daechern sehe ich die spitze vom kirchturm. gerade eben tollen ein paar raben vor den dachfenstern schraeg gegenueber 2 stockwerke drueber rum, was ich aber gar nicht erzaehlen will. 1.5 stockwerke ueber mir schraeg links von meinem fenster aus ist ein alter Balkon. der gehoert zur wohnung eines alten ehepaars, das da wohl wohnt. mein schreibtisch steht so, dass ich nur den kopf ein bisschen nach links drehen muss, wenn mir die mathematischen methoden der schwingungslehre gerade ein bisschen zu oede werden, und ich sofort auf deren territorium blicke. auch von der kueche aus, kann man deren balkon gut sehen. dass das deren territorium ist, kann man ganz gut daran erkennen, dass immer – gerade zum Beipiel – ich hatte schon die ganze zeit sehnsuechtig drauf gewartet, aber gefuerchtet, dass gerade jetzt, wenn ich das demonstrieren will, es nicht klappt – klappt aber: denn gerade eben kam die frau wieder raus hat einen lappen ausgeschuettelt, ein handtuch aufgehaengt und ist wieder reingegangen. und das ist immer so – die sind immer da und zeigen, dass der balkon ihnen gehoert – immer – immer haengen sie irgendwas auf oder ab oder giessen blumen oder der alte mann raucht eine zigarette oder die enkel kommen und alle sind auf dem balkon oder es werden irgendwelche dubiosen fluessigkeiten von einem eimer in den anderen umgefuellt. nicht dass ich den ganzen tag drauf warte, was sich bei denen tut – wenn's soweit ist, sollte ich schleunigst in eine andere umgebung gebracht werden. aber die wenigen stunden jede woche, die ich an meinem schreibtisch sitze – ich sehe sie zwangslaeufig – keine ahnung, ob sie mich auch – manchmal hoffe ich, dass sie nicht mehr so gut sehen, damit sie nicht irgendwann die polizei rufen, wenn sie mich mal wieder nackt rumlaufen sehen. neulich war der matthias zum erstenmal da zum kaffeetrinken und wir sassen in der kueche – er mit blick auf den balkon. ich hatte gerade angefangen davon zu erzaehlen, wie die zwei alten leute ihren balkon gar so ausgiebig nutzen, als – ja die frau hat was aufgehaengt... – jetzt kehrt sie gerade den balkon – nur nicht hinsehen – ich leide dann irgendwann unter verfolgungswahn, werde schreiend von den irrenhausleuten und der polizei gewaltsam aus meinem zimmer –ketzerische schimpfkanonaden aus dem fenster bruellend und irre mit den augen rollend – entfernt und ins irrenhaus gesteckt. die beiden tuscheln anschliessend wahrscheinlich gleich, dass ich schon immer suspekt war. dann haengen sie erstmal einen lappen auf....
 
 

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